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Meine Haltung mir und anderen gegenüber

"Das Schlimmste an einer psychischen Erkrankung ist, dass die Leute erwarten, dass man sich so verhält, als hätte man keine." ~ Joker

 

Diesem Zitat begegnete ich im Netz und kam ins Nachdenken. Ist das wirklich so?

Wie ist denn überhaupt meine Haltung mir/meiner psychischen Erkrankung gegenüber?

Und wie könnte ich mein Umfeld sensibilisieren?

 

Okay, ich bin bedingt durch meine Traumafolgen nicht mehr arbeitsfähig und in den Vorruhestand versetzt worden, was durchaus pathologisch ist. Ich bin dankbar, dass ich nun die Zeit habe, mich mir und meiner notwendigen inneren Arbeit intensiv widmen zu können. Es stellt für mich eine Entlastung von meinen Belastungen dar.

 

Doch wie soll meine Haltung mir gegenüber sein, wie wünsche ich diese für mich?

Nachhaltige und bereichernde Gedanken dazu fand ich in der Transformationsinspiration #97 von Verena König und in einem Interview, das Lucia von Fürstenberg-Maoz mit Verena König während des Geburtstrauma-Kongresses im Juni 2020 führte. Beiden Frauen danke ich von Herzen für ihre beeindruckende Arbeit.

Zurück zu meiner Haltung! Ja, ich bin belastet und spüre meine Traumafolgen, oft täglich, wenn Gefühle der Verwirrtheit, Verzweiflung, Leere, Angst oder der fehlenden Verbindung zu mir selbst auftauchen. Trotz allem möchte ich eine Haltung mir gegenüber einnehmmen, die anerkennt, dass alle meine Symptome gesunde/normale Reaktionen auf ungesunde/unnormale Ereignisse in meinem Leben sind. Ich habe mich also völlig normal verhalten. Diese Sichtweise ist für mich sehr wichtig, weil sie die Verwirrtheit in mir, dieses `Mit mir stimmt was nicht`, die Verdrehung von Ursache und Wirkung zurechtrückt.

Und nochmal, weil es so schön ist: Ich habe normal auf unnormale Ereignisse reagiert!

Die Ereignisse selbst waren komplex und vielschichtig. Dementsprechend lange dauert die Verarbeitung dieser. Meine heutigen Symptome bilden letztendlich noch meine alten Überlebensstrategien von damals ab, somit sind sie sogar - genau genommen - gar keine Krankheitssymptome, sondern Verhaltensweisen, -muster, die mein Überleben gesichert haben. Diese Überlebensstrategien raubten und rauben mir viel Energie. Manchmal bemerke ich sie auch gar nicht, weil sie für mich so normal sind. Oft erst dann, wenn der Schmerz Überhand nimmt oder die Unzufriedenheit zu groß wird, so wie erst gerade im Juni. Dann ist es an der Zeit, mich intensiv mir selbst zu widmen, diesen Energien Raum zu geben, damit sie sich entladen und mich entlasten können und ich so Stück für Stück meiner inneren Weisheit näher kommen, bzw. mich ihr öffnen kann.

 

Wie wünsche ich mir meine Haltung anderen Menschen genüber?

Verena König lädt in ihrer o.g. Transformationsinspiration traumatisierte Menschen ein, sich in eine Haltung gegenüber anderen Menschen zu begeben, die nicht von etwas Krankhaftem, Fehlerhaftem oder Schwierigem spricht, sondern, dass ich von mir als einem `hoch empfindsamen Menschen` spreche, der gewisse wichtige Bedürfnisse hat, die er versorgen muss; der bestimmte Dinge für sich tun muss, "um in dieser Welt auf eine gute Art und Weise leben und bestehen zu können". Dabei geht es nicht darum, mich zu erklären oder in irgendeiner Form zu rechtfertigen, sondern mich verstehbar zu machen, was auch heißt in meiner Würde zu bleiben, wenn ich drohe in meine Scham zu verfallen, wenn da etwas ist, mit dem ich nicht klar komme, dann wahrhaftig von mir zu sprechen, ohne es erklären zu müssen, was ich häufig auch gar nicht kann.

 

Dieser liebevollen Sichtweise einer Haltung mir selbst und anderen Menschen gegenüber stimme ich aus ganzem Herzen zu.

Ich sehe mich als empfindsamen Menschen, der Schritt für Schritt seine Traumafolgen bearbeitet, und diese in sein Leben integriert.

 

Um auf mein Ausgangszitat zurückzukommen - für mich ein destruktives Zitat. Ich spüre Verzweiflung. Gleichzeitig stellt das Zitat eine Unterstellung dar. Gibt es doch viele Menschen, die unsicher gegenüber Leuten mit psychischen Erkrankungen sind. Und sind die Erwartungen anderer das Schlimmste? Das Schlimmste für mich ist, wie ich mit mir selbst umgehe, und da spielen auch meine eigenen Erwartungen keine unerhebliche Rolle. Und sicherlich könnte ich an dieser Stelle zwischen den verschiedensten psychischen Erkrankungen weiter differenzieren oder näher auf bestimmte Umfelder (z.B. Arbeitssituation) eingehen. Dann enthält das Zitat möglicherweise auch Wahrheiten.

 

Wenn ich es trotz meiner Belastungen schaffe, diese oben beschriebene würdevolle Haltung mir selbst und anderen gegenüber einzunehmen, erübrigt sich dieses Zitat für mich.

 

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