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Meine Zeit im Gezeiten Haus Schloss Eichholz - Rückblick 2. Teil - ein Tag in der Klinik

Ich glaube wirklich jeder von uns Patienten erinnert sich an die schöne blühende Magnolie!

 

 

Im 1. Teil meines Rückblicks erzählte ich von der unglaublichen Programmvielfalt des Gezeiten Hauses.

 

Jetzt im 2. Teil möchte ich mir einen ersten exemplarischen typischen, bzw. nicht typischen Tag rauspicken und vom Klinikalltag erzählen. Den typischen Alltag gibt es wohl nicht, weil kein Tag gleich ablief trotz der sicheren Programmanker. Dazu passierte zu viel bei jedem von uns in seinem Inneren.

 

Ich starte mit einem Tag, der so am Anfang meiner Klinikzeit stattfand, und zwar mit einem Donnerstag.

Donnerstage waren meine Lieblingstage, weil es die Singtage waren.

 

Donnerstag, der 7.03.2019:

 

Gegen 7 Uhr morgens schellte mein Wecker. Fertigmachen zum QiGong, das hieß eine kurze Erfrischung im Bad und etwas Bequemes anziehen. QiGong startete um 7.30 Uhr mit Aufwärmübungen und dem Wecken des Qis, der Lebensenergie in uns. Einige Übungen der 18 Taichi-Qigong-Übungen folgten. Jeder machte durch Nachahmung so gut mit wie es eben ging. Mir tat dieser Morgenbeginn gut, um ein bisschen ruhiger in den Tag zu starten.

Mit erweckter Lebensenergie ging es dann direkt weiter zum Frühstück in den Ballsaal. Es gab keine festen Plätze, aber fast immer saß ich zumindest am selben runden Tisch mit ca. 8 weiteren Patienten. Neben den typischen Morgenbrötchen und Belägen wurde warmer Hirsebrei mit Apfelmus und verschiedensten Körnern und Nüssen zum Variieren angeboten. Letzteres war mein morgendliches Frühstück und ich freute mich über 100 Tage lang jeden Morgen darauf.

Von 9 - 9.50 Uhr hatte ich Einzeltherapie. Thematisch ging es um die verschiedenen Anteile in mir. Die Anteile, die bis heute in mir und durch mich aktiv sind; die Anteile, die mir in meinem Sein in keinster Weise Gutes tun; die Anteile, die gar nicht meine sind...

Es war sehr viel Traurigkeit in mir. Traurigkeit, die ich in die Oberarzt-Visite um 10.10 Uhr und in die TCM Einzel-Tuina-Massage trug. Während der Tuina-Massage von 11 - 11.50 Uhr, in der einzelne Meridiane massiert und angeregt werden, flossen die Tränen wasserfallmäßig aus mir raus, so dass die Therapeutin ihre Massage ständig unterbrechen musste, um mir die Tränen abzutupfen. Zurückgehaltene Tränen, die ich als Kind nicht weinte und stattdessen aushielt.

Möglicherweise schon ein Zeichen dafür, dass der Therapieprozess begann zu wirken.

Nach all den Tränen am Morgen war es blöd, dass ich schon um 12.10 Singen in meiner Gruppe hatte. Das, worauf ich mich so freute, ging anfangs gar nicht. In meinen Tränen feststeckend warf ich nur einen Blick auf die in dem Moment zu anrührenden Liedertexte und weinte weiter. Ich wusste nicht wohin mit mir... In mein Zimmer konnte ich nicht gehen. Das wurde gerade gereinigt. Zur Pflege oder einfach nach draußen wollte ich nicht. Also blieb ich einfach sitzen. Und das durfte so sein. Auch wenn ich mich anfangs schämte, wurde mir die Scham recht schnell genommen. Meine Mitpatientinnen trösteten mich, indem sie mir Taschentücher reichten und sagten, dass ich auch in diesem Zustand willkommen sei. So ein Segen!!!  Beim Singen in dieser Gruppe erlebte ich in den drei Monaten alle meine emotionalen Zustände - von  tiefster Traurigkeit, der Überwindung von Angst bis hin zu vollkommener Ausgelassenheit nur zu dritt. Danke dafür!

Das "Einfach Sein dürfen" so wie man ist und das Mitgefühl in allen Gruppen, die ich besuchte, war für mich so tragend und Halt gebend.

Sicherlich ein Produkt der achtsamen Haltung insgesamt in dieser Klinik!

Mit verweinten Augen ging es direkt um 13 Uhr zum Mittagessen. Vier, meistens sehr leckere Gänge, erwarteten uns. Gestartet wurde mit Suppe und anschließenden verschiedenen Salaten. Den Hauptgang gab es vegetarisch oder fleischlastig. Alles wurde direkt am Tisch vom sehr netten Personal serviert. Verschiedene Nachtische in Gläsern konnte man sich abschließend vom Buffet holen. Ich genoss das Essen sehr. Oft wurde das Mittagessen von uns mit einem Kaffee auf der Terrasse abgerundet. So auch an diesem Tag mit Decke in der Sonne und mit viel Lachen. Lachen und Weinen liegen sooo nah beieinander!

In der Ruhezeit nach dem Mittagessen schrieb ich meistens Tagebuch oder lag in eher seltenen Fällen auch mal auf meinem Bett. Da ich nachts schlecht schlief, wollte ich tagsüber auf keinen Fall schlafen. Ruhen war für mich aber möglich ;-)

Um 14.30 Uhr ging es mit Ohr-Akupunktur nach dem Nada-Protokoll weiter. Diese soll u.a. gegen Stress, Sucht, bei Trauma-Patienten.... wirken.

Jede Patientin bekam fünf Nadeln ins Ohr gesteckt und ließ diese entweder im selben Raum oder in ihrem Zimmer 20 Minuten lang wirken. Ich ging an diesem Tag in mein Zimmer, d.h. ich ging langsam und behutsam, den Kopf nach links geneigt zurück. Ein lustiger Nadelgang! Mehrere schiefe Patienten schlurften hintereinander her ;-). Selbst in dieser vorsichtigen Haltung kam ich schon nicht mehr mit allen Nadeln im Ohr in meinem Zimmer an. Nach den 20 Minuten wurden dann die noch übriggebliebenen Nadeln gezogen. Ehrlich gesagt kann ich bis heute nicht sagen, ob die Akupunktur bei mir gewirkt hat. 

Um 15.30 Uhr ging es dann direkt weiter mit Gestaltungstherapie. Bis 16.45 Uhr gestalteten wir frei mit Pigmentfarben. Auch Gestaltung gehörte zu meinen Lieblingsangeboten, die ich selten ausließ.  Um 17 Uhr fand abschließend für den Tag die Gezeitenchorprobe statt. Für mich jedes Mal ein Highlight! Das Singen selbst war meistens befreiend und belebend (auch dank des genialen Chorleiters). Allerdings singe ich gerne (auch im Chor), und merkte während meiner Zeit im Gezeiten Haus wie wichtig das Singen für mich ist, und wie sehr es mir gefehlt hatte. Back to the roots, zumindest zu den positiven ;-)

Vor dem Abendbrot fand an jedem Abend die Triade statt. In einer festen Gruppe von zumeist drei Patientinnen wurde sich über die Ereignisse und Befindlichkeiten des Tages ausgetauscht. Auch hier hatte ich wirklich Glück und war mit allen Besetzungen meiner Triaden mehr als zufrieden.

Nach dem Abendessen ging ich meist noch ein wenig auf mein Zimmer. So ab 20 Uhr trafen sich fast jeden Abend einige Patientinnen, um verschiedene Kartenspiele zu spielen. Gegen 22 Uhr oder auch später löste sich das Ganze auf und wir verabschiedeten uns bis zum nächsten Morgen.

 

Dieser Donnerstag war natürlich ein sehr vollgepackter Tag. Für mich war er trotz der starken Emotionen oder auch gerade wegen der Emotionen ein guter Tag, wenn auch anstrengender Tag.

Erst viel später während meiner Klinikzeit schaffte ich es, mir mehr Ruhe zu gönnen und diese nicht nur ertragen zu müssen. So war diese Fülle an Programm gerade während meiner Anfangszeit in der Klinik tragend, bzw. eine willkommene Abwechslung, um von mir selbst abzulenken. Meine innere Einsamkeit überkam mich nicht so schnell, hatte ich doch Angst vor der leeren Zeit in den Pausen.

Bei den meisten Patienten war das - so glaube ich - eher umgekehrt, viel Ruhe am Anfang, um später wieder mehr am Programm teilzunehmen.

 

Mich zu überfrachten ist auch jetzt noch ein Thema, bei dem ich aufpassen muss. Äußerlich ruhig wirkend, aber innerlich extrem unruhig seiend, neige ich dazu - gerade was meine Persönlichkeitsentwicklung betrifft - mich mit Kursen für meine Weiterentwicklung zu überladen 

Trotzdem bin ich insgesamt auf einem guten Weg.

 

Vielleicht wird es noch einen dritten Gezeiten Haus - Teil geben. Das wird sich in mir entwickeln und ich freue mich, dass ich mich einfach auf diesen Prozess einlassen kann.

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Kommentare: 2
  • #1

    Philipp Caspar T. S. (Donnerstag, 31 Oktober 2019 09:52)

    Danke, dass Du teilst. Nicht jeder von uns erfährt solch ein Geschenk, nicht jeder könnte es annehmen, geschweige denn umsetzen. Danke, dass Du uns an Deinem Seelenflug teilhaben lässt. Was ist da alles, was wir uns selbst nicht gönnen, uns selbst sein lassen zu können... Dir einen schönen, nun herbstlichen Donnerstag!

  • #2

    Cathrin (Freitag, 01 November 2019 08:54)

    Gerne Philipp!
    Ja, da gibt es viele Bremser*innen in uns, die uns daran hindern, einfach nur wir zu sein. Ich lerne sie nach und nach kennen und integriere sie in mein System.