Nun bin ich seit dreieinhalb Monaten wieder zu Hause, so lange wie ich auch im Schloss verweilte. Nicht, dass ich unbedingt so lange bleiben wollte, aber Ärztinnen und Therapeutin beantragten die Zeit in Absprache mit mir bei der Krankenkasse, und die Kasse bewilligte letztendlich.
Und, um es gleich vorwegzunehmen: Das war wirklich gut so!
Die Zeit hier in Hattingen wird langsam etwas ruhiger, sodass ich mir nun zutraue, mich allmählich dem Gezeiten Haus-Thema zu widmen, was ich mir ja auch schon vor ca. 2 Monaten vorgenommen hatte;-)
Wie im vorletzten Artikel beschrieben, war und ist mein Leben gerade ereignisreich.
Da fand der Auszug meiner Tochter statt, einhergehend mit den Planungen und dem Einrichten ihrer Wohnung, und der dadurch bedingten Veränderung und Umgestaltung meines, bzw. unseres Zuhauses (dem Zuhause meines Mannes und mir).
Da gab es die beiden Untersuchungen im Gesundheitsamt, was meine schulische Laufbahn betrifft, einhergehend mit dem Schreiben von Gutachten durch die Ärzte für meine Versetzung in den Vorruhestand wegen Dienstunfähigkeit.
Das alles ist sehr bewegend. Meine Therapeutin meinte, mehr als drei lebensverändernde Ereignisse im Jahr brauche der Mensch nicht. Wenn ich die Klinikzeit als weiteres Ereignis werte, war es das für dieses Jahr, hoffentlich! Es darf nun ruhiger werden.
Ich bemerke, dass sich noch etwas in mir wehrt über die Zeit im Schloss zu schreiben, wie eine innere Hürde, über die ich erst klettern muss. Das Schreiben will nicht so leicht wie sonst aus den Fingern fließen.
Vielleicht liegt es an der unruhigen Zeit zu Hause, einschließlich meiner eigenen Unruhe. Vielleicht liegt es daran, dass mein Anspruch, was den Heilungserfolg einer langen Klinikzeit betrifft, zu hoch ist oder es liegt daran, dass ich mich wieder mit den Schattenseiten meines Lebens auseinandersetzen werde.
Tja, was schreibe ich überhaupt zur Klinik? Wie geht das überhaupt in einem Artikel? Wie detailliert soll das denn sein?
Okay, `sollen` schon mal gar nicht. Ich möchte ja über meine Erfahrungen dort berichten.
Ich fange jetzt einfach mal an und lasse mich auf meinem Schreibweg inspirieren.
Von Februar bis Ende Mai verbrachte ich also insgesamt 14 Wochen im Schloss, eine lange und keine einfache Zeit, eine Zeit, in der sich meine Diagnose von einer zum damaligen Zeitpunkt schweren depressiven Episode zu einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung ausweitete.
Was das bei mir genau bedeutet, bzw, die Beschreibung meines Krankheitsbildes gehört definitiv in einen anderen Artikel. Irgendwann wird die Zeit auch dafür reif sein ;-)
Okay, da sortiert sich schon etwas in mir. Es wird weniger um die Erkrankungen, sondern um das Sein in der Klinik gehen.
"Vom Schloss" redeten wir Patientinnen ganz lapidar, wenn wir von unserem Zuhause auf Zeit sprachen.
Und tatsächlich befindet sich auch ein Teil der Traumaklinik in dem ehemaligen Schloss Eichholz (im 19. Jhd. wieder aufgebaut) in Wesseling. Das Schloss selbst ist durch einen Gang (Gang der Stille) mit zwei größeren Trakten verbunden. In einem dieser Trakte befindet sich die Traumaklinik für ca. 30 Patienten (also wirklich überschaubar). Diese Trakte stammen aus den 60er Jahren. Bis 2014 befand sich auf dem gesamten Gelände eine Bildungsstätte der Konrad-Adenauer-Stiftung. Erst 2016 eröffnete das Gezeiten Haus dort ein privates Krankenhaus für Psychosomatische Medizin mit dem Schwerpunkt auf integrativer Akutbehandlung, besonders von Traumafolgestörungen, angelehnt an Traditionelle Chinesische Medizin. Das Konzept des Hauses ist "menschliche Medizin", d.h. Achtsamkeit und Wertschätzung werden groß geschrieben. Das kann ich so unterschreiben.
Bevor ich dort im Februar einzog, war ich schon im November zu einem Vorgespräch und zu einer ersten Anamnese im Schloss. Vorgestellt hatte ich mir eigentlich einen Aufenthalt in Gezeiten Haus in Bonn, angrenzend an einen Wald (mittlerweile gibt es mehrere Gezeiten Häuser, die sich natürlich alle googlen lassen :-)). Den Zahn zog mir der beratende Psychiater allerdings schnell, indem er meinte, dass ich ein Trauma hätte, und in Wesseling in der Traumaklinik viel besser aufgehoben sei. Ich bekam eine kleine Führung und war sehr angetan von den Räumlichkeiten dort, vor allem von dem großen Ballsaal, dem heutigen Speisesaal. Sehr schön sind auch die Therapieräume, mit den auf Achtsamkeit verweisenden Namen Laotse oder Konfuzius. Weniger angetan war ich von den Patientenzimmern. Die Zimmer der Patienten sind recht schlicht und mit dem Notdürftigsten eingerichtet. Damit konnte ich trotzdem gut leben, wollte ich mich ja schließlich auf mich konzentrieren. Was ich für mich ausschloss, waren die Zweibettzimmer - ziemlich eng, kaum größer als ein Einzelzimmer, mit wenig Privatsphäre - für viele Patientinnen während meines Aufenthaltes tatsächlich ein schwieriger Zustand. Leider war ich auch nicht einbettzimmer-versichert. Ich entschied mich, den Zuschlag notfalls selbst zu bezahlen. Da ich unbedingt ein Einzelzimmer wollte, dauerte es es noch drei Monate bis ich schließlich eingewiesen wurde.
Ein anderer Punkt, der mich anfangs ins Grübeln brachte, war die Lautstärke im Schloss. Das Schloss liegt wirklich wunderschön in einem weitläufigen Park mit einem außergewöhnlichen Baumbestand und einem dazugehörigen Wäldchen, allerdings ist es umgeben von recht stark befahrenen Straßen. Aber auch da sagte ich mir: "Das wird schon irgendwie gehen." Und es ging tatsächlich gut. Es war ja nicht für immer, sprich nicht lebenslänglich;-)
Ich glaube, der schwierigste Tag ist für alle Patienten der Ankunftstag. So war es zumindest bei mir. Ich fuhr selbstständig und sehr aufgeregt in die Klinik und kam ausnahmsweise gut durch (was bei der Strecke A43, A1, A3. A4 und A555 keinesfalls selbstverständlich ist). Angst und Unruhe begleiteten mich. Von Beginn an (und bis zum Ende) wurde ich sehr freundlich und mitfühlend aufgenommen., und zwar vom gesamten Personal. Am 1. Tag musste ich lange warten bis ich mein Zimmer beziehen konnte, hatte aber das große Glück dies zusammen mit einer weiteren Patientin tun zu können, die zum wiederholten Mal an diesem Ort war. So bekam ich - bevor ich meine eigentliche Patin kennen lernen konnte - gleich eine Menge an Input und auch schon eine kleine Führung. Wie es das Schicksal wollte, war mir diese Patientin in der gesamten Zeit eine wertvolle Begleiterin, zufällig auch noch mein Jahrgang. Meine Patin lernte ich dann zum Mittagessen kennen. Alle neuen Patienten bekommen einen Paten für ca. 2-3 Tage, um sich in der Klinik zurechtzufinden. Das ist sehr angenehm für eine neue Patientin.
In der Klinik anzukommen, ist in den ersten Wochen das Wichtigste. Ankommen hieß für mich, mit den Abläufen dort vertraut zu werden, sich einlassen zu können auf das Programm, Vertrauen zu den Behandlungsmethoden und Therapeutinnen und Ärztinnen aufzubauen und im besten Falle, sich auch wohl zu fühlen. Die ersten beiden Punkte funktionierten bei mir gut. Bei den letzten beiden Punkte brauchte ich länger als drei Wochen.
Am Nachmittag des Ankunftstages richtete ich mich schließlich in meinem Zimmer ein, und konnte anschließend auch gleich einige Programmpunkte wahrnehmen. Es ging also schon am Ankunftstag richtig los, allerdings in den ersten beiden Wochen in etwas abgespeckter Form.
Bis auf die Aufnahmegespräche, ärztlichen Untersuchungen, psychischen Testungen und der Hello&goodbye-Gruppe lief das Programm in allen Wochen sehr ähnlich ab, ein tolles und sehr umfangreiches Programm, aber nach einer langen Zeit - wie bei mir - auch etwas ausgereizt.
Jeder Tag begann mit QiGong oder Meridian-Dehnübungen. QiGong wurde in weiteren Gruppen geübt und vertieft.
Verbindlich pro Woche waren für alle Patienten 3 mal Psychotherapie-Einzel, 1 mal Tuina-Massage, 2 mal Ressourcen-Gruppe, 1 mal Singen (sprich Musiktherapie), 1 mal Körpertherapie, Psychoedukation, Skulptur (Aufstellung ab der 3. Woche), Visite, Forum (alle 2-3 Wochen), der tägliche Tagesausklang sowie die Triaden. Der Tagesausklang wurde - je nachdem, welcher Therapeut ihn leitete - ganz unterschiedlich gestaltet. Von Meditation, Singen, Spielen, Vorlesen bis hin zu Gestaltungen kam hier alles vor, um den Tag ausklingen zu lassen. Was am Tag für jeden wichtig war, wurde in den Triaden besprochen. Triade deshalb, weil drei Patienten (vom Team ausgesucht) sich zusammen austauschten, so vertrauensvoll wie es denn möglich war. Wir erzählten von uns, unseren Gefühlen, unseren Erkenntnissen und Erfahrungen. Traumainhalte sollten allerdings bei jeder Patientin selbst bleiben. Diese waren hier nicht das Thema. Ich hatte in allen Triaden, die natürlich während der langen Zeit meines Aufenthaltes wechselten, sehr viel Glück mit meinen Mitpatientinnen. Dafür bin ich dankbar! Ich weiß, dass es nicht allen Patienten so erging.
Weitere Angebote wöchentlich waren Klangschalen-Meditation, Feldenkrais, Improvisationstheater, Naturwege, PMR (Progressive Muskelrelaxation), Gartenarbeit, Chor, Gestaltungstherapie, Ohr-Akupunktur und Tanztherapie.
Wenn ich das im Nachhinein so aufschreibe und reflektiere, ist das Programm der Wahnsinn! Natürlich musste und konnte ich nicht immer alles machen. Manches überschnitt sich zeitlich oder ich fühlte mich nicht in der Lage, Angebote wahrzunehmen. Wobei ich zu den Patientinnen gehörte, die sehr viel Programm nutzten, auch um mit meiner inneren Einsamkeit dort klar zu kommen.
Ich denke, es ist Zeit an dieser Stelle eine Pause einzulegen. Puuh!!! Erstmal geschafft!
Im nächsten Artikel werde ich auf jeden Fall beschreiben, welche Angebote für mich insbesondere bereichernd waren und wie so ein normaler Kliniktag ablief. Ja, und ich möchte auch von meinen Beziehungen zu den anderen Patientinnen und Patienten schreiben, für mich ein so wichtiger Aspekt!
Ich freue mich, wenn ihr Gedanken und Fragen zu meinem Geschriebenen äußert, auch gerne Ergänzungen und Anregungen.
Ich empfinde es nicht als leicht, eine so intensive Zeit in 2 - 3 Artikel zu quetschen.
Für eine ausführliche und intensive Bestandsaufnahme werde ich ein anderes Medium nutzen.
Kommt gut in den Herbst!
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