· 

Traurigkeit

Diesen Text schrieb ich während meines Aufenthaltes im Allgäu, als ich meinen Mann Frank dort nach seinem dreimonatigen Klinikaufenthalt abholte (März 2022).

 

Die tief sitzende Traurigkeit in mir.

Ich weiß nicht und kann nicht beurteilen, ob andere Menschen so eine tief sitzende Traurigkeit nachfühlen, nachspüren oder erahnen können.

Dann denke ich, dass ich so anders bin. Der Schmerz, der immer noch so tief ist, der auch nach gefühlten tausend Stunden Trancen nicht ausgeweint ist.

Was für mich am schlimmsten ist, ist dieser krasse Wechsel zwischen Freude und Traurigkeit. Ich muss nur mit einem Satz oder mit einer Situation getriggert werden. Und sie schlägt voll zu. Und ich komme nicht mal so eben da raus.

 

Ja, ich könnte sie in die Ecke stellen, wie ich es gerade kurz getan habe, als meine Tochter anrief. Ich spazierte im Wald zusammen mit meiner Traurigkeit.

Ich wollte meine Tochter damit nicht belasten, als sie anrief. Und es fällt mir so leicht , die Traurigkeit kurz wegzusperren. Auch das macht mir ein schlechtes Gewissen, diese Unehrlichkeit mir selbst und meiner Tochter gegenüber. Gleichzeitig empfinde ich es als erschreckend, wie gut ich das kann. Ganz unehrlich war ich nicht. Es passte als ich sagte: "Cathrin allein im Wald." Vielleicht war so für sie eine versteckte Traurigkeit spürbar.

 

Ausgelöst wurde die Traurigkeit durch eine Situation mit meinem Mann. Ich rolle das Feld hier mal von hinten auf - quasi von der Traurigkeit zum eigentlichen Triggermoment.

In der Beziehung zu meinem Mann werde ich häufig getriggert. Das würde ich allerdings in jeder anderen Beziehung auch und liegt einfach an dem Umstand einer Beziehung, einer Nähe und Vertrautheit an sich. Diese starken Gefühle wollen gefühlt und von mir gesehen werden.

Ich schaute mir meine Gefühle an, indem ich sie im Wald aufschrieb, versuchte zu reflektieren, was da gerade in mir passiert, welche Bedürfnisse verletzt oder missachtet wurden, woran mich mein Gefühl erinnert.

Um diese tiefe Traurigkeit intensiver fühlen zu können, machte ich in meiner Ferienwohnung eine Trance und tauchte ein in dieses Gefühl. 

Ich fühlte eine Traurigkeit, ausgelöst durch mangelnde Zuwendung in der Kindheit. Ich fühlte, nicht wichtig genug zu sein, um Zuwendung und Bestätigung bekommen zu können.

Ich hatte mich abhängig von meiner Erwartungshaltung gemacht, Frank an diesem Tag wenigstens 10 Minuten sehen zu können.

Am Telefon sagte er mir, dass er es nicht schaffen werde, mich zu treffen. Dabei hätte es mir von vornherein klar sein müssen, dass er an seinem letzten Tag in der Klinik mit sich beschäftigt ist. Das kenne ich selbst und weiß ich auch. Und trotzdem machte ich mich abhängig von dem kleinen Hoffnungsschimmer, von dem Bedürfnis, ein klein wenig Zuwendung zu bekommen.

Das ist unglaublich für mich, dies so zu sehen und den tiefen Schmerz in mir zu fühlen. Unglaublich deshalb, weil dieses Gefühl mich immer noch so stark triggert.

 

Ich nehme mich in den Arm, tröste das kleine verlassene Mädchen in mir, das nie die Hoffnung aufgab und doch immer wieder enttäuscht wurde:

 

"Du darfst weinen jederzeit und zu deinen traurigen Gefühlen stehen. Du musst dich damit nicht verstecken und brauchst dich nicht zu schämen. Jede deiner Tränen hat deine Zuwendung verdient. Jede deiner Tränen hat ihren Grund.

Und wenn du für heute ausgeweint hast, darfst du wieder in dir zur Ruhe kommen."

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Frank (Mittwoch, 20 April 2022 17:55)

    Wunderbar erklärt zeigt der „erwachsene“ Umgang mit deinen Gefühlen und Bedürfnissen die langjährige Therapieerfahrung. Immer wieder eine Herausforderung!